Dies Domini – 26. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Mit deutlichen Worten hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, zu Beginn der Herbstversammlung der deutschen Bischöfe diese zu einem neuen Denken aufgefordert und zur Illustration eine Begegnung geschildert, bei der ihn bei einem Spaziergang in der Mittagspause von Passanten und wirklich en passant die Frage erreichte: Na, wollen Sie uns von unseren Sünden erlösen? Ein bisschen spöttisch und eher mitleidsvoll gefragt. Der Bischof zieht daraus den Schluss, man, also sozusagen Kirche und Gesellschaft, laufe wohl im wahrsten Sinn des Wortes aneinander vorbei. Wohl wahr. Aber ist diese Folgerung nicht auch ein wenig kurz gesprungen? Ging es dem Passantenpaar um „Erlösung“ überhaupt? Um Sünde, eigene oder die der Kirche? Ich befürchte, die Differenz geht tiefer als bloß um kirchliches Image und die Notwendigkeit nicht selbst als Erlöser, sondern als Kirche großer und kleiner Sünder wahrgenommen zu werden.
Es geht darum, dass der Zeitgenosse von heute wohl kaum die Frage nach der Erlösung im Kontext der Erbsündenlehre stellt, weil er sich selbst gar nicht als Sünder und erlösungsbedürftig wahrnimmt. Die Frage Martin Luthers nach einem gnädigen Gott ist nicht mehr die Frage unserer Mitmenschen. Warum sollte ich den Schöpfer als anzubetendes und um Erlösung anzuflehendes Gegenüber ansehen, wenn der doch selbst, so es ihn gibt, als Verursacher aller menschlichen Dilemmata anzusehen ist. Wir können doch heute die Diskrepanz zwischen der postulierten Allmacht und Allgüte Gottes und die Erfahrung der Schlechtigkeit der Schöpfung in vielen Aspekten nicht mehr dadurch auflösen, dass wir sie den Menschen und ihrer angeblichen Erbsünde in die Schuhe schieben. Wer käme heute auf den Gedanken, es noch als vernünftig anzusehen, das Erdbeben von Lissabon 1755 dem Menschen anzulasten, wenn eine Stadt fast ganz zerstört wird und die verbliebenen Menschen sich am folgenden Tag zu einem Tedeum in der einzig stehengebliebenen Kathedrale zusammenfinden, die dann über ihnen einstürzt. Das wäre mehr als zynisch. Und für die Toten des Hochwassers an der Ahr ist wohl kaum der vielleicht zu spät warnende Landrat verantwortlich, sondern in erster Linie der, der diese Wassermassen völlig unverschuldet und unvorhersehbar in menschliche Siedlungen hat laufen lassen. An manchen Katastrophen wird der Mensch beteiligt sein, vieles macht die Natur aber auch ganz allein. Der Mensch von heute empfindet sich womöglich als ohnmächtig und blickt angstvoll in die Zukunft. Erlösung durch die Befreiung von seiner Sündenlast verspricht er sich nicht.
Deswegen hat es auch keinen Zweck, alten Wein in neue Schläuche zu gießen und nur Sprache und Auftreten der Kirche zu verheutigen. Wir müssen uns den Fragen der Menschen von heute auch mit Antworten von heute stellen und dazu gehört nicht nur ein Organisationsrelaunch, sondern ein Ersatz belanglos gewordener Glaubensgewissheiten durch eine zeitgemäße Begleitung des heutigen Menschen auf seiner und eben auch unserer Suche nach der Gewissheit göttlicher Liebe zu uns. Wer darauf eine Antwort hat, sollte genau zusehen, ob er da nicht einer Ideologie folgt, sondern wirklich dem lebendigen Christus.
D
as soll nicht heißen, tagesaktuelle Forderungen nach mehr Partizipation der Laien und einem Ende der monarchisch-absolutistischen Kirchenverfassung seien obsolet. Unsere Lesungen deuten an, wie Kirche heute auf die Forderungen der Moderne reagieren könnte. Da haben Leute die Gabe der Prophetie erhalten, obwohl sie von Mose nicht dazu befähigt waren. Statt diese nun mundtot zu machen, wie es seine Jünger verlangen, erklärt Mose:
„Willst Du Dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte.“ (Num 11,29)
Wie wäre es gewesen, wenn Johannes Joachim Degenhardt Eugen Drewermann nicht die Lehrerlaubnis entzogen hätte, wenn Josef Ratzinger Hans Küng nicht verfolgt hätte und so viele andere, von Edward Schillebeeckx bis Bernhard Häring, nicht so viel Zeit für ihre Verteidigung vor römischen Glaubenshütern hätten vertun müssen? Und haben wir nicht auch heute diese Chancen?
Johannes bittet Jesus um ein Machtwort:
„Meister, wir haben gesehen, wie jemand in Deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht. …. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ (Mk 9,38ff.)
Wie könnte das heute aussehen? Könnte man statt der hässlichen horizontalen Kirchenspaltung, die wir heute haben, nicht in einer „Reformation 2.0“ die Reformkräfte eine Kirche bilden lassen mit einer vernünftig vertretbaren, demokratisierten Verfassung, aber nach wie vor katholisch? Eine Art im Frieden getrennte und doch vereinte unierte altkatholische Kirche. Mit dem Papst als einem Ehrenoberhaupt mit großem, moralischen Gewicht, aber ohne die Notwendigkeit, mit einem unzureichenden Apparat bis in die letzte Dorfkirche hineinzuregieren? Man könnte die Katholiken einer Gemeinde abstimmen lassen, wie sie sich ihre Kirche wünschen und so ihre Zugehörigkeit selbst bestimmen lassen. Verheiratete Männer und Frauen an ihrer Spitze oder im bisherigen Modus. Viele Erscheinungen wie ein Kardinal Brandmüller sind ja nicht deshalb eine Gefahr, weil sie ´lustige´ Sachen sagen, sondern weil sie behaupten, im Besitz der Wahrheit zu sein und ihre Sicht auch anderen aufzuzwingen beabsichtigen. Als heitere Blumen am Wegesrand aber können sie eine Bereicherung sein für ein buntes Haus, in dem viele Wohnungen sind. Vielleicht ist auch ein etwas skurriles Bild der letzten Tage Symbol dieses bunten Hauses: wenn Maria 2.0 vor der Kirche, in der der Abschlussgottesdienst der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz stattfindet, demonstrieren und die Bischöfe zu ihnen gehen und Äpfel verteilen. In einer gut funktionierenden WG müssten diese Äpfel dann nur noch gemeinsam gegessen werden.
Vielleicht würde dann wieder ein Blick möglich auf den, um den es eigentlich geht: Jesus Christus, der den Menschen eine Antwort gibt auf alle wirklich wichtigen Fragen, wenn auch nicht als Satz, sondern als Person:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6)
Eine gute Woche für Sie,
Ihre Katharina Nowak
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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